Adipositas - Naturheilpraxis Elpenrod

Direkt zum Seiteninhalt

Adipositas

Adipositas: Schuld und Sühne
15. November 2018
 
Durch Essen lassen sich Stesshormone herunterregulieren – nach diesem Effekt sind viele Menschen süchtig. Welche Faktoren lösen diese Sucht aus und welche Möglichkeiten gibt es, ohne Skalpell oder Pharmaka zu intervenieren?
In Deutschland sind 26,3 Prozent aller Kinder und Jugendlichen übergewichtig. 8,8 Prozent der deutschen Kinder sind adipös. Zu dem Ergebnis kamen Forscher am Robert Koch-Institut bei neuen Auswertungen ihrer Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS). Über alle Altersgruppen hinweg sind 67 Prozent aller Männer und 53 Prozent aller Frauen übergewichtig. An Adipositas leiden 23 bzw. 24 Prozent. Welche Ursachen führen zu krankhaftem Übergewicht? Und wie lässt es sich ohne chirurgische Eingriffe oder Medikamente behandeln?

Risikofaktor Sucht
Abnehmen beginnt im Kopf“, so Uwe Machleit im Gespräch mit DocCheck. Er ist psychotherapeutischer Leiter des Adipositas Zentrums Bochum. „Wir wissen aus der neurobiologischen Forschung, dass beim Essen und beim Trinken komplexe Steuerungsprozesse im Gehirn zu finden sind.“ Stress bestimmt heutzutage weite Teile unseres Lebens. Durch Essen ist es möglich, Stesshormone etwas herunterzuregulieren. Forscher sehen hier auch Parallelen zu Suchterkrankungen. „Betroffene essen nicht mehr aus Hunger, sondern weil sie süchtig sind oder komplexen Stress haben“, berichtet Machleit.
Liegt der BMI über 35 bis 40, stumpft unser Belohnungssystem ab, das heißt, die Zahl an Dopamin-Rezeptoren geht zurück. Selbst drei Tafeln Schokolade führen nicht mehr zum erhofften Lustgewinn. Machleit warnt: „Man kann hier nicht einfach den Magen verkleinern. Das Gehirn wird immer eine höhere Steuerungsinstanz bleiben.“
Deshalb geht der Psychologe das Problem anders an. „Wir sehen in Adipositas eine psychosomatische Krankheit und arbeiten mit Methoden der Psychotherapie.“ Patienten fasten zwölf Wochen unter Aufsicht. „Das ist für mich einem Entzug gleichzusetzen“, sagt Machleit. Suchtauslösende Lebensmittel sind tabu, auf dem Speiseplan stehen Formula-Diäten.
Im ersten Jahr stehen neben dem Entzug, auch Entgiftung und Abnehmen auf dem Programm, gefolgt von der Stabilisierung der Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten im zweiten Jahr und Sucht- bzw. Stresstherapie im dritten Jahr. Selbsthilfegruppen sollen den Erfolg langfristig sichern.
Nach sechs Monaten sind die meisten Pfunde geschmolzen. Wer an dieser Stelle aufhört, hat eine Chance von 30–40 Prozent, sein Gewicht langfristig zu halten. Nach einem Jahr liegt die Erfolgsquote bei 50 Prozent, darüber hinaus sind es 60–70 Prozent. „Ohne Nachbetreuung geht es nicht“, so Machleit. Patienten lernen in dieser Zeit auch, mit geeigneten Lebensmitteln zu kochen. Fast Food, Convenience oder Süßstoffe sind wegen der möglichen Effekte auf das Hungergefühl tabu.

Risikofaktoren Armut und Bildung
Der Umgang mit übergewichtigen Patienten ist ohne Frage ein wichtiges Thema. Aber warum gibt es überhaupt so viele übergewichtige Erwachsene? Die KiGGS-Studie zeigt, dass Jungen aus sozioökonomisch benachteiligten Familien 4,4-mal häufiger Übergewicht haben als Gleichaltrige, deren Familien eine durchschnittliche Kaufkraft haben.
Laut Kinder- und Jugendreport der DAK-Gesundheit spielt auch die Bildung eine große Rolle. Der Nachwuchs von Vätern oder Müttern ohne Ausbildungsabschluss litt im Alter zwischen fünf und neun Jahren bis zu 2,5-mal häufiger an Fettleibigkeit als Kinder von Akademikern. Von 1.000 Kindern bildungsarmer Eltern hatten 52 krankhaftes Übergewicht. Im Vergleich dazu litten nur 15 von 1.000 Akademikerkindern an krankhaftem Übergewicht.
Die dramatische Zunahme der deutlich schlechteren Gesundheits- und Lebenschancen für Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommens- oder Bildungsstand ist nicht akzeptabel“, sagt Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). „Wir dürfen diese Kinder keinesfalls zurücklassen, sondern müssen stärkere Anstrengungen unternehmen, um allen Kindern einen guten Start in ihre Zukunft zu ermöglichen.“
Was sich Ärzte wünschen
Für Pädiater ist das Problemfeld nicht neu. Sie sehen Tag für Tag übergewichtige Kinder und kennen viele Faktoren aus ihrer Praxis, die zur Krankheit führen. Aus diesem Erfahrungsschatz heraus hat Fischbach Forderungen an die Politik erarbeitet:
  • Zuckerhaltige Getränke sollten höher besteuert werden.
  • Weniger an Kinder und Jugendliche gerichtete Werbung könnte den Absatz stark gesüßter Lebensmittel verringern.
  • Hochwertiges, bezahlbares Mittagessen muss von der Kita bis zur Sekundarschule verfügbar sein.
  • Eine intuitive Kennzeichnung von Zucker, Fett oder Kochsalz erleichtert es Verbrauchern, gute Lebensmittel auszuwählen.
Bei der Bundesregierung stoßen Forderungen nach der Besteuerung auf besonders ungesunde Produkte auf wenig Begeisterung: Aus dem aktuellen Entwurf der „Nationalen Strategie für die Reduktion von Zucker, Fetten und Salz in Fertigprodukten“ geht hervor, dass weder eine Sondersteuer auf Zucker, Salz und Fett noch eine besondere Kennzeichnung ungesunder Produkte geplant ist.
Dicke Kinder werden meist dicke Erwachsene
Wissenschaftler sehen in Kindern eine besonders vulnerable Gruppe, wie Mandy Geserick vom Universitätsklinikum Leipzig bestätigt. Sie hat anhand einer Kohorte mit 51.505 gesunden Kindern gezeigt, dass bei übergewichtigen Jugendlichen der Zeitraum zwischen zwei und sechs Jahren besonders kritisch ist. Mehr als 90 Prozent aller Kinder mit Übergewicht in jungen Jahren hatten auch während der Adoleszenz zu viele Kilos auf den Rippen. Normalgewichtige blieben mit ihrem BMI auch später in einem normalen Rahmen. Kohortenstudien liefern aufgrund ihres Designs keine Erklärungen. Sie zeigen aber, dass Präventionsmaßnahmen deutlich früher, als es bisher der Fall ist, ansetzen sollten. Dazu gehören auch Werbeverbote für diese Gruppe.
Informieren, aber richtig
Apropos Lebensmittel: Es reicht nicht einfach aus, Lebensmittel zu kennzeichnen. Auch wie sie gekennzeichnet werden, ist für den Verbraucher entscheidend, fand Steven Dallas von der New York University heraus. Seit Mai 2018 müssen US-Restaurants mit mehr als 20 Filialen ihre Besucher über die Kalorienzahl von Menüs informieren. Erste Daten deuteten darauf hin, dass positive Effekteausgeblieben sind. Damit gab sich Dallas aber nicht zufrieden. In einer Meldung schreibt er, Untersuchungen in einem Modellrestaurant hätten gezeigt, dass Kalorienangaben, die links von den Gerichten stehen, dazu führen, dass Kunden tatsächlich Speisen und Getränke mit 24 Prozent weniger Kalorien bestellen als bei einer anderen Positionierung dieser Information.
Dallas erklärt seine Beobachtung folgendermaßen: Durch die amerikanische Leserichtung von links nach rechts nehmen Verbraucher erst die Kalorienangaben und dann die Lebensmittel wahr. Bei hebräischen Texten müssten die Angaben dann konsequenterweise rechts vom Menü stehen, denn hier wird von rechts nach links gelesen. Demnach könnte die Maßnahme möglicherweise erfolgreich sein, wenn die Kalorienangabe immer als erstes in den Blick fällt.

Zuckersteuer für alle
Neben Kalorienangaben in Restaurants werden auch Abgaben auf stark gesüßte Getränke diskutiert. So setzt Großbritannien beispielsweise auf diese regulatorische Maßnahme. Getränke mit mehr als fünf Gramm Zucker pro 100 Milliliter kosten zusätzlich 18 Pence (20 Cent) pro Liter. Bei Softdrinks mit mehr als acht Gramm Zucker pro 100 Milliliter sind es 24 Pence (27 Cent) pro Liter. Fruchtsäfte, Getränke auf Milchbasis und die Produkte sehr kleiner Unternehmen sind ohne Aufpreis in den Supermärkten zu erwerben.
Im April 2018 hat der Lancet eine umfassende Analyse zur Besteuerung von Genussmitteln veröffentlicht. Es geht nicht nur um Softdrinks, sondern auch um Alkohol und Zigaretten. Die Veröffentlichung basiert auf 300 Studien aus Albanien, Chile, Guatemala, Indien, Nicaragua, Niger, Panama, Polen, der Türkei, Tadschikistan, Tansania und Osttimor. So ist der Softdrink-Verkauf in Mexiko durch die erhobenen Steuern um 17 Prozent gesunken, vor allem bei ärmeren Konsumenten, die weltweit als größte Risikogruppe gelten. Ähnliche Effekte, die von Alkohol oder Zigaretten bekannt sind, ließen sich also auf Zucker übertragen, schreiben die Autoren.
Milliarden eingespart
Ihre Erkenntnis ist nicht neu. Australische Forscher zeigten vor einem Jahr, welche Effekte regulatorische Maßnahmen in ihrem Land haben könnten. Sie gingen von einer hypothetischen Zuckersteuer von 0,62 Euro/100 g, etwa für Eis, aus. Dadurch ließen sich 270.000 disability-adjusted life years (DALY), eine Einheit um die Krankheitslast zu bemessen, verhindern. Diese Berechnung würde in etwa 1,2 gesunden Extra-Jahren für jeden 100. Australier entsprechen, schreiben die Autoren. Durch ergänzende Maßnahmen wie Steuern auf Fett und Kochsalz bei gleichzeitiger Subvention gesunder Lebensmittel kommen sie in ihrem Modell sogar auf 470.000 DALYs weniger. Das Gesundheitssystem könnte somit mehr als zwei Milliarden Euro im Jahr sparen.
Nun haben Simulationen immer ihre Schwächen, inbesondere was Details betrifft, dennoch steht wohl eines fest: Prävention lohnt sich in jeder Hinsicht.

 
Artikel von Michael van den Heuvel
Quelle: DocCheckNews
Zurück zum Seiteninhalt